HM-HETZELMEDIA
Von : H.HETZEL, Den Haag
Datum : 11.5.2022
Niederlande/EU/Euro/Inflation
Der Euro hat die Schwindsucht/EZB kündigt Zinserhöhung für September an
Hohe Inflation bedroht Stabilität des Euro/Preise steigen und steigen/Schuldenstand südeuropäischer Länder wächst/Inflation in Holland bleibt mit 9,6 % sehr hoch
Von HELMUT HETZEL
Den Haag. Anna Beck weiß nicht mehr wie sie finanziell über die Runden kommen soll. Die 61jährige Niederländerin, die als Verkäuferin mit 1100 Euro netto im Monat auskommen muss, sagt: ´´Nur weil ich noch etwas Spargeld auf dem Konto habe, kann ich die hohen Preise für Nahrungsmittel, Strom und die Miete noch bezahlen. Aber das Spargeld ist auch bald aufgebraucht. Dann weiß ich nicht mehr, wie ich all die Rechnungen bezahlen soll.´´
Die hohe Inflation von 9,6 Prozent im April und 11,6 Prozent im März in Holland frisst ihre Einkünfte regelrecht auf. Fast drei Millionen Haushalte in den Niederlanden sind wegen der hohen Inflation schon in finanziellen Problemen. Sie können die Rechnungen einfach nicht mehr bezahlen, weil das Geld, das sie verdienen, immer weniger wert wird. Der Euro hat die Schwindsucht.
Die Lebenshaltungskosten sind in den Niederlanden im Jahresvergleich heute um rund zehn Prozent höher als noch vor einem Jahr, hat das statistische Zentralamt CBS errechnet. ´´Ich suche jetzt systematisch nach Sonderangeboten in den Supermärkten und koche für drei Tage im Voraus, wenn ich billig einkaufen konnte. Mein Auto lasse ich stehen. Ich kann die hohen Benzinpreise nicht mehr bezahlen,´´ klagt Anna Beck. ´´Wenn meine Enkelkinder auf Besuch kommen, bringen sie mir immer etwas zu essen mit.´´
Die galoppierende Inflation macht die Menschen in der Eurozone immer ärmer. Im Durchschnitt beträgt die Preissteigerungsrate in der Eurozone nun schon 7,5 %. Und die Europäische Zentralbank EZB und deren französische Präsidentin Christine Lagarde tut immer noch nichts. Die EZB erhöht die Zinsen immer noch nicht, um die Inflation zu bekämpfen, während die US-Notenbank FED die Zinsen jetzt kräftig um 0,5 Prozent anhob, um die mit über sieben Prozent auch in den USA so hohe Inflation entschieden zu bekämpfen.
Dabei ist enormer Handlungsbedarf. In den drei baltischen Euro-Staaten Estland, Lettland und Litauen liegen die Inflationsraten jetzt schon bei 19 % (Estland) 13,2 % (Lettland) und 16,6 % Litauen. In Deutschland stiegen die Preise im vergangenen Monat im 7,8 %, in Luxemburg um 9,0 %, in Österreich um 7,2 %. Nur die Schweiz ist mit einer Inflationsrate von 2,4 % noch immer eine Insel der Stabilität in Europa. Aber sie gehört der Eurozone auch nicht an und hat ihren in diesem Inflationsumfeld immer stärker werdenden Schweizer Franken.
Wegen der hohen Inflation droht neues Ungemach für den Euro und die Eurozone, wenn die EZB nicht endlich und schnell handelt, um den immer wilder grassierenden Inflationsspuk Paroli bietet.
An den Rentenmärkten steigen die Renditen für Staatsanleihen schon kräftig. Für eine zehnjährige deutsche Staatsanleihe musste Anfang des Jahres noch ein Negativzins von 0,27 % gezahlt werden. Jetzt bringen die deutschen Staatsobligationen für die Anleger wieder Geld. Sie rentieren mit einem Zinssatz von 1,01 %.
Die Zinswende an den Rentenmärkten wird vor allem bei den Staatsanleihen der hochverschuldeten südeuropäischen Länder wie Griechenland oder Italien deutlich. Italien muss für seine Staatsanleihen nun schon 3,15 % Zinsen bezahlen, Anfang des Jahres waren es nur 1,19 %. Griechenland muss nun für seine staatlichen Schuldverschreibungen schon 3,63 % berappen, gegenüber 1,17 % Anfang des Jahres.
Der Zinsunterschied – von den Finanzexperten Spread genannt – zwischen den deutschen Staatsanleihen und denen der südeuropäischen Schuldenländer wie Griechenland, Italien, Spanien und Portugal steigt kräftig. Denn die Staatsschuld von Griechenland beträgt 193 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die von Italien 150 % des BIP, die von Spanien 118 % des BIP und die von Portugal 127 % des BIP. In Deutschland beträgt die Schuldenquote nur 70 % des BIP, in den Niederlanden mit 52 % des BIP sogar noch weniger. Hoch verschuldet ist aber auch Frankreich mit 112 % des BIP. Österreichs Schulden betragen 82,2 % des BIP. Luxemburg ist mit einer niedrigen Schuldenquote von nur 24,4 % des BIP der Musterschüler in der Eurozone. Vorgabe für alle Länder der Eurozone ist laut dem Euro-Stabilitäts- und Wachstumspakt, dass die Staatsverschuldung nicht höher als 60 % des BIP betragen sollte.
Ländergruppe/Land | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 |
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1: Rechenstand: Notifikation vor dem 22. April 2022. Quelle: Eurostat, April 2022. |
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Belgien | 99,8 | 97,7 | 112,8 | 108,2 |
Deutschland | 61,2 | 58,9 | 68,7 | 69,3 |
Griechenland | 186,4 | 180,7 | 206,3 | 193,3 |
Spanien | 100,5 | 98,3 | 120,0 | 118,4 |
Frankreich | 97,8 | 97,4 | 114,6 | 112,9 |
Irland | 63,1 | 57,2 | 58,4 | 56,0 |
Italien | 134,4 | 134,1 | 155,3 | 150,8 |
Zypern | 98,4 | 91,1 | 115,0 | 103,6 |
Luxemburg | 20,8 | 22,3 | 24,8 | 24,4 |
Malta | 43,7 | 40,7 | 53,4 | 57,0 |
Niederlande | 52,4 | 48,5 | 54,3 | 52,1 |
Österreich | 74,1 | 70,6 | 83,3 | 82,8 |
Portugal | 121,5 | 116,6 | 135,2 | 127,4 |
Slowenien | 70,3 | 65,6 | 79,8 | 74,7 |
Slowakei | 49,6 | 48,1 | 59,7 | 63,1 |
Finnland | 59,8 | 59,6 | 69,0 | 65,8 |
Estland | 8,2 | 8,6 | 19,0 | 18,1 |
Lettland | 37,1 | 36,7 | 43,3 | 44,8 |
Litauen | 33,7 | 35,9 | 46,6 | 44,3 |
Eurozone | ||||
zusammen | 85,8 | 83,8 | 97,2 | 95,6 |
Tschechien | 32,1 | 30,1 | 37,7 | 41,9 |
Dänemark | 34,0 | 33,6 | 42,1 | 36,7 |
Ungarn | 69,1 | 65,5 | 79,6 | 76,8 |
Polen | 48,8 | 45,6 | 57,1 | 53,8 |
Schweden | 38,9 | 34,9 | 39,6 | 36,7 |
Bulgarien | 22,1 | 20,0 | 24,7 | 25,1 |
Rumänien | 34,7 | 35,3 | 47,2 | 48,8 |
Kroatien | 73,3 | 71,1 | 87,3 | 79,8 |
EU-Mitgliedstaaten |
Nun darf man gespannt darauf sein, wann die EZB endlich handelt und die Zinsen erhöht, um so die Inflation zu bekämpfen. Die Zeit drängt.
Eine Zinserhöhung könnte ´´wenige Wochen´´ nach dem Ende der Aufkäufe von Staatsanleihen erfolgen, sagte EZB-Chefin Lagarde am Mittwoch in Ljubljana. Das Ende der Käufe solle Anfang des dritten Quartals erfolgen. Eine Zinserhöhung wäre dann also im September oder Oktober zu erwarten. Vielleicht sogar schon Ende Juli, wie aus der EZB-Zentrale in Frankfurt/Main zu hören ist.
Dass die EZB mit der notwendigen Zinserhöhung zu lange zaudert und hadert, das liegt vor allem daran, dass die südeuropäischen Euro-Länder so hohe Schuldenstände haben. Aber mit ihrer Niedrigzinspolitik und den umfangreichen Aufkaufprogrammen von Staatsanleihen von Ländern wie Italien, Frankreich, Griechenland, Spanien und Portugal, hat die EZB deren Schuldenmacherei in den letzten Jahren quasi finanziert und auch noch belohnt. Jetzt rächt sich das. Die EZB ist in einem Dilemma. Wenn sie die Zinsen erhöht, was sie tun muss, um die Inflation zu bekämpfen, dann müssen die hochverschuldeten südeuropäischen Länder auch mehr Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlen. Folge: Ihr Schulden steigen weiter. Wie lange kann das gut gehen?
Links:
https://www.telegraaf.nl/financieel/442721995/column-zelfs-ecb-ers-vinden-koopkrachtklap-teleurstellend
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