HM-HETZELMEDIA

Von : H.HETZEL, Den Haag
Datum : 17.11.2024

Niederlande/Deutschland/Schweiz/ Die Brandmauer

Die Haager Kolumne – ein Essay

Deutschland von außen gesehen und was Deutschland von den Niederlanden und der Schweiz lernen kann:

Weg mit der Brandmauer in Deutschland

Kommt das Ende der Bundesrepublik Deutschland, so wie wir sie bisher kannten?

Von HELMUT HETZEL

Den Haag. Mit einer Mauer hat Deutschland seine Erfahrungen gemacht. Schlimme Erfahrungen. Bittere Erfahrungen. Tödliche Erfahrungen. Eine Mauer teilte das Land nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1945) von 1961 bis 1989. Sie war 1378 Kilometer lang. In Berlin als Mauer. An der innerdeutschen Grenze als Stacheldraht, Todesstreifen mit Kontrolltürmen und Volksarmee-Scharfschützen, die die so genannten „Republik-Flüchtlinge“ einfach abknallen sollten und auch abgeknallt haben, wenn sie dem sozialistischen Arbeiter und Bauern-Paradies namens DDR entfliehen wollten.

Hunderte Deutsche wurden an der Mauer – vor allem in Berlin – von den Soldaten der damaligen DDR „Volksarmee“ auf ihrer Flucht in die Freiheit erschossen.

 

Die Berliner Mauer mit dem Todesstreifen – Sie stand von 1961 bis 1989. Sie ist ein Symbol von Unfreiheit und Diktatur

Eine wissenschaftliche Studie der Freien Universität Berlin spricht von 327 Todesopfern an der Mauer, allein in Berlin. Aber: Diese Studie ist umstritten. Die Stiftung „Berliner Mauer“ geht von mindestens 650 Opfern aus, die nur eins wollten: Weg aus dem von einer Mauer umringten DDR-Gefängnis, raus in die Freiheit.

Nun spukt eine neue Mauer durch die Köpfe von vielen Deutschen, vor allem von deutschen Politikern: Die Brandmauer. Sie teilt das seit 35 Jahren wiedervereinigte Deutschland erneut. Im Kopf, im Denken.

Die neue deutsche Brandmauer ist der „Cordon sanitair,“ wie man in den Niederlanden und Belgien sagt, gegen den Rechtsextremismus. So wird es wie ein Mantra gebetsmühlenhaft von führenden deutschen Politikern immer wieder heruntergebetet. „Die Brandmauer gegen die AfD steht. Wir brauchen diese Brandmauer.“ Die Mauer im Kopf.

Die Brandmauer in den Köpfen

Die Brandmauer soll demanch ein „Schutzwall“ – klingt auch ganz nach DDR-Jargon – gegen die „Alternative für Deutschland AfD“ sein, sagen viele Politiker vor allem aus den Reihen der CDU/CSU, der SPD, den Grünen. Sie argumentieren, die AfD sei undemokratisch, neonazistisch, eine Bedrohung. Kurz: Die AfD sei eine Bedrohung für die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland. Am liebsten würden sie die AfD verbieten lassen. Der deutsche Verfassungsschutz – der vom Berliner Innenministerium kontrolliert wird – hat die AfD auf die Beobachtungsliste gesetzt und sie als rechtsextrem und teilweise neofaschistisch kategorisiert.

Fest steht aber: Knapp 20 Prozent der deutschen Wähler gaben ihre Stimme der AfD bei den letzten Wahlen in 2024. In Ostdeutschland sind es in manchen Ländern, Thüringen, Sachsen, Brandenburg, bereits bis zu 30 % der Wähler, die für die AfD votieren.

Kann man in einer Demokratie 20 Prozent der Wähler einfach ignorieren? – Das ist die Gretchenfrage, um mit Goethe zu sprechen.

Werfen wir einen Blick in die Niederlande. Nur einen Katzensprung von der alten deutschen Kaiserstadt Aachen entfernt liegt die südniederländische Metropole Maastricht. Maastricht ist nicht nur eine wunderschöne Stadt wo der Maastrichter Stargeiger André Rieu jedes Jahr den Walzer vor tausenden von Zuschauern erklingen lässt.

 

Maastricht – die Wiege des Euro – hier die Sint Servaas Brücke

Maastricht ist die Wiege des Euro. Hier wurde mit dem Abschluss des Maastrichter Vertrags auf dem EU-Gipfel am 7. Februar 1992 der Maastrichter Vertrag und die Gründung und die Einführung des Euro beschlossen.

Der Euro wurde am 1. Januar 1999 als Buch- oder Giralgeld und drei Jahre später am 1. Januar 2002 als Bargeld eingeführt. Damit löste er die nationalen Währungen in den ersten Ländern der Eurozone ab. Zuerst waren es elf EU-Länder, heute sind es 20 EU-Länder, die den Euro als gemeinsame Währung nutzen.

Aber zurück zur Brandmauer-Problematik – zurück in die Niederlande

In den Niederlanden regiert seit Juni 2024 eine stramm rechts-konservative Regierung unter dem parteilosen Premierminister und ehemaligen Geheimdienstchef Dick Schoof (67).

Diese Regierung kam an die Macht, weil die rechtspopulistische „Partij voor de Vrijheid PVV“ (Freiheitspartei) des Geert Wilders im November 2023 die Parlamentswahl in Holland haushoch gewann.

Es ist eine Vierparteien-Koalition. Sie besteht aus der rechtsliberalen VVD des ehemaligen niederländischen Premierminsters Mark Rutte, der heute Nato-Generalsekretär ist, der neu gegründeten konservativen NSC und der ebenfalls neu gegründeten konservativen Bauern-Bürger-Bewegung BBB sowie der PVV des Geert Wilders als stärkster Partei im Haager Koalitionsbund.

Aber Geert Wilders hat nach seinem grandiosen Wahlsieg darauf verzichtet, Ministerpräsident der Niederlande zu werden, wenn auch nicht ganz freiwillig. Er ist von zahlreichen seiner radikalen Positionen dem Islam gegenüber (den Koran verbieten, Moscheen schließen) und gegenüber der EU (Austritt aus der EU und Austritt aus dem Euro) abgerückt. „Die habe ich in den Gefrierschrank gelegt“, pflegt Wilders zu sagen. Er hat also viel Wasser in den Wein gegossen. Manche würden sagen: Er hat jede Menge Kreide gefressen.

Das Kreidefressen aber machten Wilders und die PVV salonfähig, so dass die drei anderen Parteien mit der PVV und Wilders ins Regierungsboot stiegen.

Geert Wilders – Gründer, Chef und einziges Mitglied der „Partij voor de Vrijheid PVV – Freiheitspartei –  in den Niederlanden

Nun drängt sich die Frage auf: Warum geht so etwas in Deutschland nicht? Warum kann der CDU-Spitzenpolitiker Friedlich Merz, der den Umfragen zufolge gute Chancen hat, nach der vorgezogenen Neuwahl am 23. Februar 2025 neuer Kanzler in Berlin zu werden, nicht aus dem Beispiel Niederlande lernen?

Warum igelt sich Merz ein und singt tagein, tagaus das Hallelujah der Brandmauer gegen die AfD?

Er hätte ja auch eine andere Option. Merz könnte Alice Weidel und der AfD das Messer auf die Brust setzen und ähnliches tun, was die drei Koalitionspartner von Wilders und der PVV in den Niederlanden getan haben.

Diese drei Parteien, VVD, NSC und BBB verlangten von Wilders nämlich: Absolute Loyalität zum Grundgesetz. Sie verlangten: Du musst Deine radikalen Forderungen gegenüber dem Islam und gegenüber der EU aufgeben. Du musst den Freiheitskampf der Ukraine gegen die Russen unterstützen.

Und, der schwerste Brocken für Wilders: Du wirst nicht Ministerpräsident der Niederlande werden.

Wilders schluckte alle diese Kröten. Er stimmte dem zu.

Frage: Warum also könnte Friedrich Merz nicht gegen Alice Weidel und der AfD sagen: Ich koaliere mit Dir und der AfD aber nur – wenn Rechtsradikale und Neonazis – wie Björn Höcke – die Afd verlassen?

Friedrich Merz CDU-Parteivorsitzender und möglicherweise neuer Kanzler der Bundesrepublik Deutschland in 2025

Ich koaliere mit der AfD nur, wenn die AfD ein klares Bekenntnis zum Grundgesetz abgibt.

Ich koaliere mit der AfD nur, wenn die AfD ihren Schmusekurs gegenüber Putin und Russland aufgibt und für die gemeinsame Verteidigung der von Russland angriffenen Ukraine eintritt, für die Verteidigung der Freiheit.

Auch das hat  übrigens Geert Wilders in den Niederlanden getan. Er und seine PVV unterstützen jetzt den Verteidigungs- und den Freiheitskampf der Ukrainer gegen die Russen. Das war der Preis dafür, dass sie, die PVV, nun in der Haager Regierung ist.

Auch diese Bedingung hat Wilders geschluckt, um regieren zu können.

Warum sollte die AfD  und Weidel diesen Preis in Deutschland nicht bezahlen wollen, um mitregieren zu dürfen?

Aber Merz will einfach nicht mit der AfD reden, geschweige denn koalieren. Ist das Engstirnigkeit? Ist das Machtgeilheit, weil er wahrscheinlich Kanzler wird in 2025 und das unbedingt werden will, auch als Kanzler unter der Knute der SPD? Oder ist es einfach ein Mangel an Vorstellungskraft und politischer Kreativität? – Auf zu neuen Wegen Herr Merz, fast wollte ich schon schreiben „Mijnheer Merz“ – schau nach Holland.

Merz ist jetzt schon ein Gefangener seiner eigenen Brandmauer-Politik geworden.

Er will sogar „Zufallsmehrheiten,“ wie er sagt, die im Deutschen Bundestag durch Stimmen der AfD möglich werden könnten, blockieren.

Ist das demokratisch?

Merz liebäugelt sogar damit, den „Nationalen Notstand“ auszurufen, wenn er Kanzler ist, damit er regieren kann, wenn er keine Mehrheit mehr hat.

Notstandgesetze in Deutschland – keine guten Zukunftsaussichten – weder für Deutschland – noch für Europa.

Friedrich Merz hat sich und damit die CDU durch seine Brandmauer-Ideologie – oder Borniertheit – in ein Dilemma manövriert, das er nicht mehr wird lösen können, wenn er daran festhalten sollte.

Er macht sich somit zum „Ersatz-Scholz“ wie Alice Weidel im Bundestag treffend sagte.

Schlimmer noch: Er wird voraussichtlich ein CDU-Kanzler von SPD-Gnaden, sollte die CDU die Wahl am Februar 2025 haushoch gewinnen, wie die Demoskopen das prophezeien, weil er nicht mit der AfD koalieren will.

Ein Kanzler Merz wird in einer großen Koalition von CDU/CSU/SPD – und möglicherweise sogar der Grünen oder der FDP – eine „lame duck“ – ein lahme Ente sein. Er wird von der SPD ausgebremst werden und die dringend notwendigen Reformen in der Wirtschaftpolitik, um die kränkelnde deutsche Ökonomie wieder anzuheizen und auf Touren zu bringen, nicht realisieren können.

Echte Reformen und eine echte Wende in der Wirtschaftspolitik, dem Migrationdebakel, der Energiepolitik, der Finanzpolitik, der Sozialpolitik und dem Bürgergeld-Debakel, die können nur realisiert werden wenn die CDU/CSU mit der AfD koaliert und damit eine echte politische Wende einleitet. Ohne SPD und ohne die Grünen.

Aber dazu fehlt Merz & Co. der Mut. Bisher. Aber: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ein Blick in die Niederlande würde Merz & Co. helfen, wie es geht, rechtsextreme Politiker zu zähmen und zu integrieren.

Aber wer schaut schon gern über seinen eigenen Gartenzaun aus der Berliner Dunstglocke und noch dazu in ein kleines Nachbarland, namens Niederlande – das übrigens eine größere und leistungsfähigere Halbleiterindustrie hat als das große Deutschland, das auch hier bei der Herstellung von Halbleitern im internationalen Vergleich total hinterherhinkt.

Aber nicht nur ein Blick über die Grenze in die Niederlande, sollte so manchem deutschen Politiker und insbesondere Friedrich Merz zu denken geben – auch in Blick in die Schweiz hilft.

Beispiel Schweiz

Schauen wir kurz in die Schweiz. Die renommierte Neue Zürcher Zeitung NZZ, die älteste, 1780 gegründete deutschsprachige Zeitung in der Schweiz und Europa und ihr heutiger Chefredakteur/Chefredaktor Eric Guijer stellt das „Ende der Bundesrepublik Deutschland, wie wir sie bisher kannten,“  in einem Kommentar fest. Er schreibt zum möglichen Wahlausgang in Deutschland im Februar 2025:

 

Die NZZ sagt, was Sache ist

 

„Der logische Ausweg aus dem Dilemma ist versperrt, denn dazu müsste ein Kanzler Merz mit der AfD koalieren, die voraussichtlich im Frühjahr zur zweitstärksten Partei im Bundestag aufsteigen wird. Das aber ist ausgeschlossen. Zu viele Wähler im Westen des Landes würden Merz vorwerfen, sich zum Steigbügelhalter des Faschismus zu machen.

Dabei unterscheiden sich die Ansichten von Union und AfD in vielen Punkten gar nicht so sehr. Das lässt sich beobachten, wenn Alice Weidel in der Schweiz vor Unternehmern, Selbständigen und leitenden Angestellten auftritt. Das wäre genau die Klientel von CDU/CSU, und dort erntet Weidel beträchtliche Zustimmung. Doch in Deutschland gilt die eherne Marketing-Weisheit: «Perception is reality.»

Ein Kanzler Merz wird erpressbar durch seinen künftigen Koalitionspartner. Die Sozialdemokraten wissen, dass Merz nur mit ihnen regieren kann, will er sich nicht auf das Abenteuer eines Dreierbündnisses einlassen. Die SPD wird nach den Wahlen nicht mehr den Kanzler stellen, aber Merz regiert von ihren Gnaden. Die Wahrscheinlichkeit einer kraftvollen bürgerlichen Politik tendiert gegen null.“

Soweit die Meinung von Eric Gujer, dem Chefredaktor der NZZ.

 

                                                                           Alice Weidel, AfD-Chefin

Dort, in der Eidgenossenschaft, wird Alice Weidel, wo sie mit ihrer schweizer Ehepartnerin hauptsächlich wohnt, übrigens sehr geschätzt – und anders als in Deutschland nicht dämonisiert.
Weder Weidel noch die AfD. Man redet mit ihr. Man lädt sie ein zu Vorträgen. Man führt große Interviews mit ihr.

Die Zeitung „Südostschweiz,“ die liberale Zeitung des größten Schweizer Kantons Graubünden, präsentierte Alice Weidel gerade in einem großen zweiseitigen Interview in ihrer Wochenendausgabe vom 16./17. November 2024. Originalton Weidel: „Angela Merkel hat unser Land runiert.“

In der Schweiz hat niemand Angst vor Weidel und der AfD. Hier gibt es seit langem die rechtsgerichtete  SVP, die „Schweizerische Volkspartei,“ die inzwischen ins demokratische System der Schweiz integriert ist.

In den Niederlanden geschieht das derzeit gerade mit der PVV des Geert Wilders. Wilders und die PVV werden ins demokratische System der Niederlande integriert – indem sie dessen Werte und Spielregeln akzeptieren müssen und ihren radikalen Parolen abschwören müssen, damit sie mitregieren können.

Warum sollte das, was in der Schweiz geht und in den Niederlanden gerade passiert, in Deutschland mit der AfD nicht auch möglich sein?

Um noch einmal mit dem großen Goethe zu sprechen: Ja, das ist die Gretchenfrage ! – Für Herrn Merz und die CDU – und für Deutschland.

Und Frau Weidel muss Kreide fressen wie Geert Wilders in den Niederlanden bevor die noch gefährlichere Sahra Wagenknecht mit ihrem national-sozialen – oder soll man sagen:  national-sozialistischem Kurs – noch mehr Boden gewinnt in der Bundesrepublik. Denn Sahra Wagenknecht und ihre „One-Woman-Partei“ BSW sind noch gefährlicher als die AfD für die deutsche Demokratie. Gegen sie und die BSW aber gibt es keine Brandmauer. Seltsam.

„Sahra Stalin“

 

Sahra Wagenknecht, Gründerin der nach ihr benannten Partei BSW – Bündnis Sahra Wagenknecht

Der Berliner Historiker Karl Schlögel sagt über Sahra Wagenknecht in einem Interview in der WELT am Sonntag am 17.11.2024

„Die Talkshow-Queen Sahra Wagenknecht hat ein sehr feines Gespür für die Beunruhigung, die Angst und die Unsicherheit, die durch den Krieg (in der Ukraine, htz) ausgelöst worden sind. Wagenknecht ist die rhetorische Bewirtschafterin der Angst. Hinzu kommt, dass sich wieder ein Pazifismus zu Wort meldet, der an die Bewegung der 80er-Jahre anknüpft. Aber es ist ein Pazifismus, der korrumpiert ist. Der heutige Pazifismus bedeutet Kapitulation vor einem Aggressor, einem, der Europa den Angriffskrieg zurückgebracht hat. Dieser heutige Pazifismus bedeutet nichts anderes als Kapitulation.“

Schlögel weiter: „Wenn das bis zum Ende weitergedacht wird, bedeutet dies über kurz oder lang: Europa unterwirft sich der Diktatur.“

PS: In Schweizer Medien wird Sahra Wagenknecht übrigens häufig als „Sahra Stalin“ bezeichnet.

Links:

www.helmuthetzel.com
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