HM-HETZELMEDIA
Von : H.HETZEL, Den Haag
Datum : 27.07.2020
HM-Interview mit Botschafter Tigran Balayan von Armenien in den Niederlanden
GERMAN AND ENGLISH VERSION
,Für uns besteht die ständige Gefahr von Krieg, Zerstörung und Leid‘‘/ Die internationale Gemeinschaft ist gefordert im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan
Mit Botschafter Tigran Balayan sprach unser Korrespondent Helmut Hetzel in Den Haag.
F: Herr Botschafter Tigran Balayan, im Juli gab es Artillerieschüsse von Aserbaidschan nach Armenien. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation zwischen Ihrem Land Armenien und Aserbaidschan?
A: Nach dem Versuch der aserbaidschanischen Streitkräfte vom 12. Juli, die Kontrolle über Stellungen der armenischen Streitkräfte im Nordosten unserer Staatsgrenze zu übernehmen, verschlechterte sich die Situation schnell und eskalierte in Artilleriebeschuss und den Einsatz von Kamikadze-Drohnen, die auf zivile Infrastruktur, einen Kindergarten, sogar auf eine Fabrik, die Mundmasken herstellt, die so dringend wegen der Covid-19-Pandemie benötigt werden. In Armeniens Region Tavush mussten Fabriken aufhören zu arbeiten und Lieferungen an andere Länder einstelle.
Der Angriff war für Armenien keine Überraschung, da Aserbaidschan zu den wenigen Ländern der Welt gehört, die sich öffentlich geweigert haben, dem Aufruf des UN-Generalsekretärs zu einem globalen Waffenstillstand während der COVID-Pandemie beizutreten. Im Laufe der letzten Monate haben wir unsere internationalen Partner ständig auf die zunehmende Kriegsführung und die antiarmenische Hassrede in Baku aufmerksam gemacht.
Der Botschafter Armeniens in den Niederlanden Tigran Balayan
Man muss kein Politikwissenschaftler sein, um zu verstehen, dass das alles getan wurde, um die Aufmerksamkeit von den der politischen, finanziellen und sozialen Migrationskrise in Aserbaidschan abzulenken.
F: Worum geht es im Streit mit Aserbaidschan?
A: Der Krieg zwischen Aserbaidschan und Berg-Karabach (Artsakh) brach 1991 mit dem Zerfall der Sowjetunion aus. Aserbaidschan begann diesen Krieg als Reaktion auf die Absicht des Volkes von Berg-Karabach, sich mit Armenien wieder zu vereinigen. 1921 wurde es von Armenien getrennt und von Josef Stalin an Aserbaidschan übergeben.
Nach dem Verlust des Krieges forderte Aserbaidschan einen Waffenstillstand, der im Mai 1994 zwischen Aserbaidschan und Artsakh zustande kam. Dem Waffenstillstandsabkommen schloss sich Armenien als Sicherheitsgarant für die Bevölkerung von Berg-Karabach an. Armenien trägt die Verantwortung für die Sicherheit, die physische existenzielle Sicherheit von 150000 Menschen, die in Artsakh leben, von denen die meisten ethnische Armenier sind.
Der seit drei Jahrzehnten andauernde Konflikt schadet den Grenzsiedlungen Armeniens und den in Artsakh lebenden Menschen ernsthaft und verletzt ihre politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und anderen Rechte.
F: Wie kann dieser Streit beigelegt werden?
A: Es gibt ein einzigartiges Vermittlungsformat, das von der internationalen Gemeinschaft – dem Co-Vorsitz der Minsk-Gruppe der OSZE – es besteht aus Frankreich, Russland und den USA und hat ein entsprechendes Mandat. Sie handeln gemeinsam und werden von den Vereinten Nationen, der EU und anderen wichtigen internationalen Akteuren unterstützt. Eigentlich ist der Berg-Karabach-Konflikt im Grunde der einzige, bei dem die Annäherungen dieser drei Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates übereinstimmen.
Die Ko-Vorsitzenden haben einen Rahmen für die Lösung vorgeschlagen, der auf den Grundsätzen des Völkerrechts beruht.
Unsere Haltung ist glasklar: Es gibt keine militärische Lösung für diesen Konflikt. Der Krieg ist keine Option und sollte völlig und öffentlich ausgeschlossen werden. Wir setzen uns voll und ganz für eine friedliche Lösung des Konflikts in einer Weise ein, die den Interessen Armeniens und Berg-Karabachs gleichermaßen gerecht wird, so wie es auch von Aserbaidschan erwartet wird. Die Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE arbeiten intensiv an einer Lösung, aber jedes Mal, wenn die aserbaidschanischen Behörden sich weigern, die Vorschläge zu akzeptieren, erklären sie daraufhin, dass die militärische Option eine mögliche Lösung des Konflikts sei.
Armenien ist zuversichtlich, dass nur eine auf einem Kompromiss basierte Lösung zu einer friedlichen Lösung führen kann. Dies war und ist das Engagement Armeniens.
Die Rolle der Türkei
F: Welche Rolle spielt die Türkei in diesem Streit?
A: Die Rolle der Türkei in diesem Konflikt ist besonders Besorgnis erregend, weil wir eine sehr destabilisierende Rolle der Türkei in ihren anderen Gegenden – dem östlichen Mittelmeerraum, Nordafrika, dem Nahen Osten – beobachten können. Was wir jetzt beobachten, ist der Versuch der Türkei, Instabilität in unsere Region, in den Südkaukasus, zu exportieren.
Die einzige Rolle, die die Türkei in diesem Konflikt spielen sollte, besteht darin, sich so weit wie möglich fernzuhalten. Die einseitige, bedingungslose politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung der kriegerischen Haltung Aserbaidschans durch die Türkei erschwert die Situation nur.
Die Rolle von Russland
F: Welche Rolle spielt Russland? Unterstützt Russland Armenien?
A: Als Minsker Fraktionsvorsitzender und bilateral hat Russland über Jahrzehnte sehr konstruktiv mit den beiden anderen Ko-Vorsitzenden zusammengearbeitet, um eine akzeptable Lösung zu finden, nämlich eine auf einen Kompromiss basierende Lösung für alle betroffenen Parteien – Armenien, Berg-Karabach und Aserbaidschan zu finden.
Eigentlich ist Russisch das Land, das es geschafft hat, 1994 einen Waffenstillstand zwischen Aserbaidschan und Berg-Karabach zu vermitteln, sowie die Einstellung der Feindseligkeiten nach der so genannten April-Aggression Aserbaidschans gegen Berg-Karabach im Jahr 2016 möglich zu machen.
Armenien hat eine Allianz und strategische Partnerschaft mit Russland, und wir arbeiten intensiv an der Ausweitung der vielfältigen Beziehungen zu Russland.
Gleichzeitig verkaufen Russland, Israel und eine Reihe anderer Länder weiterhin hochentwickelte Waffen an Aserbaidschan, das diese Waffen nutzt, um Zivilisten und die zivile Struktur in Armenien ins Visier zu nehmen. Wir meinen, dass Länder, die Aserbaidschan mit Waffen beliefern, klar verstehen müssen, dass der Einsatz dieser Waffen gegen Zivilisten ein Verbrechen ist.
Die Rolle der EU
F: Könnte die EU in diesem Streit als Vermittler auftreten?
A: Die EU unterstützt den Ko-Vorsitz der MInsk-Gruppe der OSZE voll und ganz und fordert die Seiten auf, Verhandlungen aufzunehmen, und ruft zur Zurückhaltung auf.
Das Problem ist, dass die EU und andere internationale Organisationen immer versucht, das Gleichgewicht zu wahren und keine klaren Erklärungen abgibt, mit dem Ziel, zu vermeiden, dass der wirkliche Initiator der Gewalt beim Namen genannt wird. In Baku fördert das die Verschärfung der Rhetorik und der Eskalation.
Die EU hat einen Sonderbeauftragten für den Kaukasus, einen erfahrenen estnischen Diplomaten, dessen Mandat die Unterstützung bei der Konfliktlösung umfasst, aber er zögert, Berg-Karabach zu besuchen und die Friedensbotschaft der EU zu übermitteln und Möglichkeiten des Engagements der EU für Menschenrechte und humanitäre Projekte zu untersuchen.
Das ist nicht gut für das Image der EU als eine der treibenden Kräfte für die Einhaltung der Menschenrechte in der Welt.
Die Rolle der USA
F: … und die Vereinigten Staaten?
A: Die Vereinigten Staaten als Co-Vorsitzender der Minsk-Gruppe geben ihr Bestes, um die Seiten näher an eine Lösung heranzuführen. Im Gegensatz zur EU führen die USA mehrere humanitäre Projekte in Berg-Karabach durch und finanzieren sehr wichtige Minenräumprojekte.
Man sollte klar anerkennen, dass Aserbaidschan für die fehlende Lösung des Karabach-Konflikts verantwortlich gemacht werden muss, nicht die Ko-Vorsitzenden, Armenien oder Artsakh, da die herrschende Elite in Aserbaidschan diesen Konflikt als ,,Raison d´etre‘‘ ihrer Herrschaft betrachtet, oppositionelle Stimmen unterdrückt, unabhängige Medien schließt und Bürgeraktivisten hinter Gitter bringt und alle Probleme des ungelösten Konflikts mit Berg-Karabach abschreibt.
Solange die internationale Gemeinschaft die Dinge nicht beim Namen nennt und ihre Bemühungen fortsetzt, um das angebliche Gleichgewicht zu erhalten, so lange wird diese Situation fortbestehen und wird es die ständige Gefahr von Krieg, Zerstörung und Leid geben.
F: Vielen Dank für das Gespräch.
A: Vielen Dank, dass Sie mir die Gelegenheit dazu gaben.
ENGLISH VERSION
,,There is a permanent danger of war, destruction and suffering“
Interview by HELMUT HETZEL , The Hague
Q: Mr. Ambassador Tigran Balayan, there were artillery shots from Azerbaijan to Armenia in July. How do you assess the current situation between your country Armenia and Azerbaijan?
A: Following the 12 July attempt by the Azerbaijani Armed forces to take control of positions of Armenian forces in the North-East of our state border, the situation quickly deteriorated and turned into exchange of artillery shelling and use of kamikadze drones, targeting of civilian infrastructure, kindergarten, even factory of mouth mask (so much needed in COVID19 times) in Armenia’s Tavush region had to stop working and supplies to other countries.
The attack was not a surprise to Armenia, as Azerbaijan is among few countries in the world that publicly refused to join the UN Secretary General call for a global cease-fire during the COVID pandemic. In the course of recent months we were constantly bringing the attention of our international partners on rising war mongering, and Anti-Armenian hate-speech in Baku.
One doesn’t need to be a political scientist to understand that all have been done to distract the attention on deepening political, financial, social migration crises in Azerbaijan.
Q: What is the dispute with Azerbaijan about?
A… The war between Azerbaijan and Nagorno Karabakh (Artsakh), erupted at the break-up of the Soviet Union in 1991. Azerbaijan started that war in response to the intention of the people of Nagorno Karabakh to reunite with Armenia. In 1921 it was separated from Armenia and given to Azerbaijan by Joseph Stalin.
After losing the war, Azerbaijan asked for a cease-fire, which was established in May 1994 between Azerbaijan and Artsakh. The cease-fire agreement was joined by Armenia as security guarantor for the population of Nagorno-Karabakh. Armenia bears the responsibility for the security, very physical existential security of 150000 people living in Artsakh, majority of whom are ethnic Armenians.
The conflict that has been going on for three decades seriously damages the border settlements of Armenia and the people living in Artsakh and violates their political, economic, environmental and other rights.
Q: How can this dispute be resolved?
A:… There is a unique format of mediation, mandated by the international community – the OSCE Minsk Group Co-chairmanship – consisting of France, Russia and the USA. They act jointly, and are endorsed by the UN, EU and other major international actors. Actually the Nagorno-Karabakh conflict is basically the only one, where approaches of those three Permanent members of the UN Security Council coincide.
The Co-chairs has proposed a framework for the solution, based on the principles of international law.
Our stance is crystal clear: there is no military solution to this conflict. The war is not an option, and should be totally and publicly ruled out. We are fully committed to the peaceful resolution of the conflict in a way that meets the interests of Armenia and Nagorno-Karabakh in equal measure as it is expected for Azerbaijan. The OSCE Minsk Group co-chairs are working intensively to propose a solution, but each time Azerbaijan authorities refuse to accept the proposals, declaring the military option as a potential solution to the conflict.
Armenia is confident that only a compromise-based solution can bring to a peaceful settlement. This has been and remains the commitment of Armenia.
Q: What role does Turkey play in this dispute?
A: … Turkish role is particularly concerning, because we have been observing a very destabilizing role of Turkey in its other neighbourhoods – the Eastern Mediterranean, North Africa, the Middle East. Now what we are observing is an attempt to export this factor of instability in our region, in the South Caucasus.
The only role Turkey can play in this conflict, is to keep itself as far away as possible. Turkish unilateral, unconditional political, economic and military support of Azerbaijan’s bellicose stance is only complicating the situation.
Q: What role does Russia play? Does Russia Support Armenia?
A:… As a Minsk Group Chair country and bilaterally Russia has been very constructively working over decades with the other two Co-Chairs countries to find an acceptable solution, a compromise-based solution for all the parties concerned – to Armenia, Nagorno-Karabakh, and Azerbaijan.
Actually Russian is the country, which managed to broker truce between Azerbaijan and Nagorno-Karabakh in 1994, as well the cessation of hostilities after the so called April Aggression of Azerbaijan against Nagorno-Karabakh in 2016.
Armenia has an allied relationship and strategic partnership with Russia and we are working extensively on expansion of multifaceted ties with Russia.
At the same time Russia, Israel and a number of other countries continue to sell sophisticated armaments to Azerbaijan, which uses them to target civilians and the civilian instructure. We are voicing alarm over this indicating that countries supplying Azerbaijan with weapons must clearly understand that the use of these weapons against civilians is a crime.
Q: Could the EU act as a mediator in this dispute?
A: … The EU is fully supporting OSCE MInsk Group Co-chairmanship and encourages the sides to engage in negotiations and calls for restraint.
The problem is that the EU and other international organisations always try to keep balance and do not make addressed statements, avoiding to indicate the real initiator-side of the violence. In Baku this is regarded as impunity and encourages further rise of rhetoric and escalation.
The EU has a Special Representative to the Caucasus, an experienced Estonian diplomat, whose mandate includes assisting in conflict resolution, but he is reluctant to visit Nagorno-Karabakh and deliver the EU’s message of peace, and investigate opportunities of EU’s engagement in human rights and humanitarian projects.
This is not good for the EU’s image as the driving force of the human rights system in the world.
Q: … and the United States?
A: … The United States as a Minsk Group Co-Chair country does its best to bring the sides closer to the solution. In contrast to the EU, the US implements several humanitarian projects in Nagorno-Karabakh, financing very important demining projects.
One should perceive clearly that Azerbaijan is to be blamed for the lack of solution to the Karabakh conflict, not the Co-Chairs, Armenia or Artsakh, as the ruling elite in Azerbaijan regards this conflict as the raison d’etre of their rule, suppressing opposition voices, closing independent media and putting civil activists behind the bars, and writing off all the problems to the unresolved conflict with Nagorno-Karabakh.
As long as the international community will continue efforts to keep the imaginable balance and will not call things by their proper names, will have the same situation and constant danger of war, destruction and suffering.
Q: Thank you for the interview.
A: Thank you for this opportunity.
Links:
KIM KARDASHIAN ließ sich in Armenien taufen
https://www.brigitte.de/aktuell/kim-kardashian–sie-liess-sich-zusammen-mit-ihren-kindern-in-armenien-taufen-11659706.html
Textende / Copyright © by HELMUT HETZEL / Den Haag