HM-HETZELMEDIA
Von : H.HETZEL, Den Haag
Datum : 2.8.2022
Niederlande/Ministerpräsident
Der Pianist, der die Niederlande regiert
Mark Rutte, der ´´Teflon-Premier,´´ ist der am längsten amtierende Ministerpräsident der Niederlande
Von HELMUT HETZEL
Den Haag. Er hat es geschafft. Ab dem heutigen Dienstag, den 2. August 2022, wird der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte der am längsten amtierende Regierungschef der Niederlande sein. Denn bricht der heute 55jährige Rutte den bisherigen Rekord seines Amtsvorgängers Ruud Lubbers, der die Niederlande von 1982 bis 1994 regierte und der am 14. Februar 2018 verstarb.
Lubbers war exakt 4309 Tage im Amt. Rutte wird ab dem heutigen Dienstag 4310 Tage regieren. Er selbst will das historische Jubiläum nicht feiern, ließ er verlauten. Mehr noch: Er weilt an diesem historischen Tag nicht einmal in der Heimat, um mit Freunden diesen politische Erfolg zu feiern. Er ist an diesem historischen Tag bei Freunden im Ausland.
Mark Rutte ist ein Tausendsassa, ein Stehauf-Männchen. Er hat viele Krisen überlebt. Er lässt die oft harte Kritik an ihm einfach abperlen. Das brachte ihm den Spitznamen ´´Teflon-Premier´´ ein. Rutte führt seit dem 14. Oktober 2010 nun das vierte von ihm geleitete Kabinett in Den Haag. Er regiert derzeit zusammen mit der von ihm geführten rechtsliberalen Partei für Freiheit und Demokratie VVD, den Christdemokraten (CDA), den linksliberalen Demokraten D´66 (D´66) , und der christlich-calvinistischen Christen Union (CU).
Seit zwölf Jahren fährt Mark Rutte jeden Montag mit seinem Fahrrad von seinem Appartement im Haager Stadtteil Benoordenhout zum Palast Noordeinde in Den Haag, um König Willem-Alexander zu einem vertraulichen Gespräch zu treffen. Er parkt sein Velo dort immer rechts vor dem Haupteingang, schließt es aber immer gut ab, obwohl der Palast von König Willem-Alexander im Herzen Den Haags gut bewacht wird. Er besucht den König zum allwöchentlichen Téte a téte zwischen dem König und dem Ministerpräsidenten der Niederlande. Was der amtierende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und König Willem-Alexander da unter vier Augen jede Woche im Palast Noordeinde besprechen, das ist wohl das am Besten gehütete Geheimnis in der niederländischen Politik. Niemand erfährt etwas davon.
Mark Rutte – der Pianist regiert
Der Pianist Rutte, der sich gerne am Klavier, wenn er Stücke von Mozart, Bach, Schumann oder Horowitz spielt, entspannt, will weitermachen und sicher diese Legislaturperiode, die bis 2025 andauert, durchregieren. Immer wieder aufkeimende Spekulationen darüber, dass Rutte einen Posten in der EU anstrebt oder Generalsekretär der NATO werden wolle, streitet er immer entschieden ab. Aber seine politische Erfahrung ist groß. Neben Victor Orban ist Mark Rutte nun der am längsten regierende Ministerpräsident in der EU. Er wäre also prädestiniert für eine Aufgabe in der Europäischen Union (EU).
Aber Rutte will den von ihm eingeleiteten Umbau der niederländischen Gesellschaft fortsetzen und in Holland weiterhin den Ton angeben. Er hat in den vergangen zwölf Jahren der Niederlande bereits seinen rechtsliberalen Stempel aufgedrückt und das Land nachhaltig reformiert und verändert. Sein Credo: Die Eigenverantwortung des Menschen. ,,Wir müssen die Möglichkeiten, die wir als einzelne Menschen haben, besser nutzen und mehr Verantwortung übernehmen,‘‘ so definierte er 2013 bei seiner Vorlesung zu Ehren eines seiner Vorgänger Willem Drees seine politische Überzeugung.
Mark Rutte ein echter Liberaler
Politisch heißt das für Rutte, dass sich der Mensch nicht in der sozialen Hängematte des Staates ausruhen kann, sondern sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss. Ein typisch liberaler Ansatz. Entsprechend dieser neoliberalen Überzeugung führten die von Rutte in den vergangenen zwölf Jahren geleiteten Regierungen einschneidende Reformen durch, die den Sozialstaat schlanker, aber auch weniger sozial machten. Beispiel: Unter Rutte wurde für Studenten die staatliche Studienfinanzierung Bafög abgeschafft. Nun müssen Studenten ihr Studium in Holland wieder selbst finanzieren, was dazu geführt hat, dass viele junge Akademiker in den Niederlanden nach Abschluss ihres Studiums hoch verschuldet sind, weil sie ihr Studium über Kredite finanzieren mussten, falls es nicht von ihren Eltern bezahlt werden konnte. Das war ein Fehler, hat Rutte inzwischen eingesehen. Ab dem kommenden Jahr soll es in den Niederlanden wieder staatliches Bafög geben.
Aber auch bei der Alten- und Krankenpflege setzten die Rutte-Regierungen den Rotstift rigoros an. Viele Altenheime und Krankenhäuser wurden geschlossen. Das war auch nicht so weise, wie sich während der Corona-Pandemie herausstellte, als niederländische Corona-Patienten nach Deutschland ausgeflogen werden mussten, weil es in Holland zu wenig Betten auf den Intensivstationen gab.
Der Zulagen-Skandal – Bruch des Rechtstaates – Rücktritt der Regierung Rutte
Der größte Fauxpas, der sich unter der zwölfjährigen Regentschaft von Mark Rutte ereignete, war aber zweifellos die Zulagenaffäre. 2021 wurde bekannt, das der niederländische Fiskus „schwarze Listen´´ über potenzielle Steuerbetrüger führte. Zehntausenden von Familien, vor allem Sozialhilfe- und Kindergeldempfängern, wurden die staatlichen Zulagen gestrichen. Illegal und rechtswidrig, da es sich bei den meisten dieser Familien gar nicht um Steuerbetrüger handelte.
Wegen der Enthüllungen über die schwarzen Listen des Fiskus und die Zulagen-Affäre,
´´Toeslagenaffaire,´´ wie sie in den Niederlanden genannt wird, trat die von Ministerpräsident Mark Rutte geführte christlich-liberale Regierung in Den Haag im Januar 2021 geschlossen zurück. Aber trotzdem wurde Rutte im März 2022 wieder gewählt. Aber in den jüngsten Umfragen sagen viele Niederländer, dass sie nun ´´Rutte-müde´´ sind und einen anderen Premierminister wollen. Aber auch das wird am ´´Teflon-Premier´´ Mark Rutte abperlen.
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