HM-HETZELMEDIA
Von : H.HETZEL, Den Haag
Datum : 18.11.2021
Der Essay
Belgien/Taiwan/China/USA
Taiwan baut an seiner Zukunft – aber Peking will die Insel ´´heim ins Reich´´ holen
Erst Tibet, dann Hongkong und Macao – bald Taiwan? Die Weltmacht China will weiter wachsen/Belgischer Politologe warnt in seinem neuen Buch vor dem Angriff Pekings auf Taiwan/Kapituliert der Westen vor den Kommunisten in China?
Von HELMUT HETZEL
Den Haag. Taiwan baut an seiner Zukunft. Gerade eröffnete die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen in der wunderschönen südtaiwanesischen Hafenstadt Kaohsiung das neue ´´Kaohsiung Music Center.´´ Es ist ein futuristisch wirkender abstrakter architektonischer Klangkörper, ein neues kulturelles Highlight und Markenzeichen von Kaohsiung, wie der Hafen und die renommierte Universität, ´´National Sun Yat-sen University.´´ Sie gehören zur Identität von Kaohsiung und zur Identität von Taiwan. In ihrer Eröffnungsrede sagte die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen: ´´Die Demokratie ist der Boden auf denen Kreativität und Produktivität wachsen können. Dieses Musikzentrum zeigt die Kraft der Musik und die Kraft der Kreativität.´´
Aber hat Taiwan noch eine Zukunft? Diese Frage stellt sich immer nachdrücklicher, da Peking und die dort diktatorisch regierende Kommunistische Partei Chinas (KPCH) eine so genannte ´´Wiedervereinigung´´ mit Taiwan zum Staatsziel erhoben hat. Taiwan soll heim ins Reich der Mitte, wie sich China selbst nennt: Zhong Guo, auf Chinesisch: 中國.
Wenn nötig muss Taiwan mit Gewalt, durch eine militärische Eroberung der Insel durch die chinesische ´´Volksbefreiungsarmee,´´ heim nach ´´Zhong Guo´´ geholt werden.
Ausgerechnet von der so genannten ´´Volksbefreiungsarmee, jener Armee, die das blutige Massaker an den nach Freiheit und Demokratie strebenden chinesischen Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens, Tiananmen-Platz, am 4. und 5. Juni 1989 anrichtete. Tausende von freiheitsliebenden chinesischen Studenten worden erschossen, verhaftet oder einfach von Panzern der ´´Volksbefreiungsarmee´´ überrollt und durch die Ketten der Panzer zerquetscht. Das Massaker auf dem Tiananmen war grausam. Es wird von den Kommunisten in Peking tot geschwiegen. Wehe dem, der darüber redet. Für die KPCH hat dieses Massaker gar nicht stattgefunden.
Aber in Taiwan, in Hongkong, Macao und anderswo in der Welt ist es nicht vergessen. Es ist ein Mahnmal dafür, wozu die Kommunisten in Peking fähig sind.
Xi Jinping, der gerade einstimmig wiedergewählte chinesische Präsident auf Lebenszeit, Oberbefehlshaber der Armee und Generalsekretär der KPCH, ist heute so mächtig wie einst der Staatsgründer des heute kommunistisch-nationalistischen Staates Volksrepublik China. Xi ist so mächtig wie Mao Tse Tong. Mao rief am 1. Oktober 1949 auf dem Tiananmen-Platz die Volksrepublik aus.
Rückblick: Mao holte in den 50iger Jahren Tibet heim ins Reich der Mitte. Deng Xiaoping, der Wirtschaftsreformer, der aber auch den Befehl zum Massaker auf dem Tiananmen-Platz an den Studenten gab, holte Hong Kong und Macao zurück in Reich. Nun will der 68jährige Xi Jinping eine von Peking diktierte möglicherweise auch militärisch forcierte ´´Wiedervereinigung´´ mit Taiwan herbeiführen. Krieg nicht ausgeschlossen.
Xi will mit Mao und Deng in den chinesischen Geschichtsbüchern und im Olymp der großen Führer Chinas seit Ende des Kaiserreichs 1912 gleich ziehen. Er will mit Mao und Deng auf einer Stufe stehen. Dafür braucht er die Eroberung Taiwans.
Es stellt sich jedoch die Frage: Kann Peking, kann die Volksrepublik China, völkerrechtlich überhaupt Anspruch auf Taiwan erheben? Die Republik China wurde nach der Xinhai-Revolution auf dem chinesischen Festland am 1. Januar 1912 in Nanking ausgerufen. Sie besteht auf Taiwan bis heute weiter, nachdem die von Chiang Kai-Shek geführte Partei ´´Kuomintang´´ und viele ihrer Anhänger nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen Mao und den Kommunisten 1948/49 auf die Insel Taiwan geflohen sind.
Die ´´Ein-China-Politik´´
Aber die ganze Welt, einschließlich der USA, macht heute den Kotau vor Peking und akzeptiert die von China formulierte so genannte ´´Ein-China-Politik„ ohne sie zu hinterfragen.
Diese ´´Ein-China-Politik´´ besagt, dass Taiwan eine abtrünnige Provinz und kein unabhängiger Staat ist. Eine große Mehrheit der Taiwanesen, von denen sich vor allem die Jungen anno 2021 nicht mehr als Chinesen, sondern als Taiwanesen definieren, sieht das aber völlig anders. Sie wollen in einem demokratischen, in einem freien Taiwan leben – und nicht unter der Knute einer kommunistischen Diktatur in Peking. Sie wollen frei sein.
Die kommunistische Knute aber droht Taiwan. Denn der chinesische Präsident Xi Jinping hat nicht mehr viel Zeit, um Taiwan zu erobern.
´´Ich fürchte, dass Peking nicht mehr lange Geduld hat. Sie werden uns angreifen,´´ sagt eine hohe taiwanesische Diplomatin im Gespräch mit unserer Zeitung. ´´Der chinesische Präsident Xi Jinping ist nun 68 Jahre alt. Ihm läuft die Zeit davon. Er will Taiwan unter die Herrschaft von Peking bringen, noch bevor er stirbt.´´
Das meint auch der belgische Politologe Jonathan Holschlag (40), der an der ´´Freien Universität´´ in Brüssel lehrt. In seinem gerade erschienenen Buch, Titel: ´´Van muur tot muur´´ (Von Mauer zu Mauer) beschreibt er detailliert das Angriffs-Szenario, das Peking vorbereitet, um Taiwan zu besetzen und heim ins Reich der Mitte zu holen.
´´Letzten Endes ist euch Los Angeles doch wichtiger als Taiwan. Das sagte ein hoher chinesischer General schon 1996 zu einem amerikanischen Diplomaten, als China Raketen über Taiwan hinweg ins Meer abgefeuert hatte,„ berichtet Holschlag in seinem Buch und zitiert den chinesischen General weiter mit den Worten: ´´Im Korea-Krieg konntet ihr uns noch mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen, weil ihr gewusst habt, wir können nicht zurückschlagen. Jetzt ist das anders. Jetzt können wir zurückschlagen.´´
Der Politologe Jonathan Holschlag schreibt: ´´Die Chinesen wollen Taiwan haben. Die Chance, dass das auf friedliche Weise geschehen kann, ist sehr klein. Die Chinesen werden zuschlagen, wenn sie davon überzeugt sind, dass sie militärisch dazu in der Lage sind. Aber soweit ist es jetzt noch nicht. Aber die militärische Aufrüstung von China geht rasend schnell. Für die Eroberung von Taiwan braucht China seine Raketen, den Cyber-Krieg via Internet, seine U-Boote, die die Amerikaner nur schwer aufspüren können, und mit denen sie in den Gewässern rund um Taiwan und im Pazifik immer anwesend sein können. Aber erst will China auch noch weiter wirtschaftlich wachsen, um eine noch größere Wirtschaftsmacht und Militärmacht zu werden. Außerdem werden sie ihre künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer weiter aufrüsten, um auch von dort aus Taiwan angreifen zu können,´´ stellt Holschlag fest.
Die Gretchenfrage
Die Gretchenfrage laute: ´´Wollen und können die Amerikaner Taiwan beistehen und Taiwan verteidigen?´´ Weiter: ´´China wird den Angriff auf Taiwan mit einem gigantischen Raketen-Salvo einleiten, um den Gegner zu demoralisieren und dessen schnelle Kapitulation zu erzwingen.
Man muss wissen: China hat rund 1500 Raketen direkt auf Taiwan gerichtet.
Um die maritime Macht der Chinesen einzudämmen haben die Amerikaner nun zusammen mit Australien und dem Vereinigten Königreich das Arkus-Abkommen abgeschlossen. Ein Abkommen, gemeinsam atomgetriebene U-Boote für Australien zu bauen,´´ heißt es offiziell. Nur so könne der chinesischen U-Boot-Flotte im Südchinesischen Meer und im Pazifik Paroli geboten werden.
Über die Rolle von Europa in diesem Konflikt zwischen China und Taiwan schreibt der Politologe Holslag: ´´Europa spielt dabei gar keine Rolle, weder für die Chinesen, noch für die Amerikaner. Wir können keine Kriege mehr führen, wie das die Chinesen oder die Russen noch können. Diese Kriege sind gnadenlos, sie fordern viele Opfer und Menschenleben. Europa kann und will das nicht mehr. Unsere Militärs sitzen lieber im Büro hinter Computern. Das sind keine Kämpfer mehr. Sie haben keine ´´boots on the ground,´´ keine Füße mehr auf dem Boden.
Aber sollte Taiwan fallen, dann fällt ein wichtiger demokratischer und wirtschaftlich einflussreicher Staat in Asien. Dann hätte China ´´Carte blanche´´ für ganz Asien, dann würde China zu einer direkten Bedrohung auch für Japan, Süd-Korea und andere Nachbarländer in Asien, dann würde China zur neuen Weltmacht Nummer eins und die USA in dieser Rolle ablösen.
Die Insel Taiwan mit seinen rund 24 Millionen Einwohnern ist ein High-Tech-Land. Mit TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) hat es die beste und größte Halbleiter-Fabrik in der Welt. Die TSMC-Technologie, die mit fotolithografischen Maschinen der niederländischen ASML die Chips herstellt, die die Welt und die Unternehmen wie Apple, Microsoft, Facebook, Google, Siemens, VW, BMW, Daimler, Samsung, brauchen, ist den chinesischen Chip-Herstellern derzeit in technologischer Hinsicht überlegen. Ein Krieg um Taiwan würde den völligen Ausfall der TSMC-Chipproduktion bedeuten, der die USA und Europa und deren große Unternehmen besonders hart treffen würde. Denn die vom ´´Godfather of Semiconductors´´ Morris Chang gegründete TSMC ist mit einem Marktanteil von mehr als 50 % der wichtigste und größte Halbleiterlieferant in der Welt.
Da lässt es aufhorchen, dass TSMC gerade angekündigt hat, neue Chip-Fabriken nicht nur in Taiwan, sondern nun auch in Japan und in Litauen bauen zu wollen. Will die TSMC ihre Technologie in Sicherheit bringen bevor die Chinesen sie bei einem Angriff zerstören?
Die China-Kennerin Eva Rammeloo, Korrespondentin in Peking für zahlreiche Medien in Europa, stellt dazu in ihrer brillanten Analyse unter dem Titel: ´´China ist kurz davor, Taiwan einzunehmen – Betrifft das uns auch? in der niederländischen Zeitung ´´Trouw´´ fest: ´´Sollten die USA nicht eingreifen, wenn China Taiwan erobern will, dann verschiebt sich die Machtbalance sowieso. Japan und Süd-Korea wissen dann, dass sie sich auf ihren Bündnispartner USA nicht mehr verlassen können. China wird dann in der Region Herr und Meister sein. Es drängt sich der Vergleich mit der Appeasement-Politik des Westens vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges gegenüber Hitler auf: Schwache Gegner geben dem Aggressor Flügel.´´ Eva Rammelo zieht also einen Vergleich zum ´´Münchner Abkommen´´ von 1938, das der damalige britische Premier Neville Chamberlain mit Adolf Hitler schloss. Hitler bekam das Sudentenland in der damaligen Tschechoslowakei – und versprach im Gegenzug, keinen Krieg anzufangen. Aber Hitler hatte den Poker gegen Chamberlain gewonnen. Am 1. September 1939 griff er Polen an. Der Zweite Weltkrieg begann. Eine Appeasement-Politik gegenüber China könnte heutzutage ähnliche Folgen haben, meint Rammelo. ´´Taiwan ist das neue Polen. Taiwan ist ein Testfall für die internationale Gemeinschaft. Wenn die Allianz der Demokratien Taiwan fallen lässt, dann kann sich China künftig alles erlauben.„
Wollen wir den Kommunisten in China – ähnlich wie Chamberlain bei Hitler – mit einer neuen Appeasement-Politik dazu ermutigen, erst Taiwan und dann möglicherweise noch andere Länder in Asien, zu erobern – oder wollen wir das nicht? Das ist die Gretchenfrage. Taiwan, das ist der Lackmus-Test für den freien und demokratischen Westen.
Das Buch: Jonathan Holslag: ´´Van muur tot muur´´ Verlag: Bezige Bij, Amsterdam/Brüssel, 2021, Preis: 34,99 Euro
Der Autor: Helmut Hetzel (1955) war von 1983 bis 1985 Auslandskorrespondent in Peking. Nun Benelux-Korrespondent in Den Haag. Er kehrte in den zurückliegenden 35 Jahren regelmäßig zurück nach China, Hong Kong und Macao. Er besuchte aber auch regelmäßig Taiwan. Für seine Berichterstattung über das komplexe Verhältnis zwischen der diktatorischen Volksrepublik China (PRC) und der demokratischen Republik China auf Taiwan (ROC) wurde er von Taiwan mit dem ´´International Communications Award´´ ausgezeichnet.
Links:
https://www.hetzelmedia.com/875-2/
https://www.eefjerammeloo.nl/2017/
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