HM-HETZELMEDIA
Von : H.HETZEL, Den Haag
Datum : 24.7.2021
Niederlande/Armenien/Aserbaidschan/EU
´´Wir gehen jeden Abend mit der Angst vor einem neuen Krieg ins Bett„ – EU lässt Armenien im Stich/Türkei heizt den Konflikt an
Interview mit dem Botschafter Armeniens in den Niederlanden Tigran Balayan
Mit Tigran Balayan sprach unser Korrespondent Helmut Hetzel in Den Haag
F: Herr Botschafter, wie ist die Lage derzeit in ihrer Heimat und in Bergkarabach?
A: Wir stehen kurz vor einem neuen Krieg. Die Lage eskaliert. Wir gehen mit der Angst vor einem neuen Krieg jeden Abend ins Bett. Der Waffenstillstand vom November letzten Jahres wird nicht mehr lange halten, fürchte ich. Er ist keine Lösung für die Zukunft.
F: Warum hat sich die Lage wieder so zugespitzt?
A: Die Türkei hat rund 2000 Dschihadisten aus Syrien angeheuert. Der türkische Präsident Erdogan sagt ganz offen, was er will, er will das vollenden und ich zitiere jetzt Präsident Erdogan: ´´Was unsere Großväter nicht vollenden konnten,´´ so Erdogan wörtlich. Es droht ein zweiter Genozid an den Armeniern.
F: Wie kann man das verhindern? Welche Rolle kann und sollte die EU dabei spielen?
A: Von der EU sind wir sehr enttäuscht. Wir vermissen und wir brauchen die Unterstützung der EU. Aber sie kommt nicht. Die EU lässt auch Erdogan gewähren, Erdogan der die modernste militärische Technologie wie Awacs-Aufklärer und Drohnen gegen uns einsetzt. Sie werden von der Türkei, einem Nato-Land, gegen uns eingesetzt. Die Türkei spielt im Konflikt um Bergkarabach eine entscheidende militärische und für uns eine negative Rolle. Und keiner bremst Ankara. Der türkische Präsident Erdogan hat erklärt, ich zitiere: ´´Wir werden unsere Brüder in Aserbaidschan niemals im Stich lassen. Wir werden sie bis zum Ende ihres Kampfes unterstützen.„
Das ist de facto eine Kriegserklärung gegenüber Armenien.
Außerdem: Von Seiten des aserbaidschanischen Regimes von Präsident Aliyev werden Kriegsverbrechen begangen. Es finden ´´ethnische Säuberungen´´ statt, wie einst auf dem Balkan als Jugoslawien auseinander brach. Die dafür verantwortlichen Kriegsverbrecher wurden hier in Den Haag am UN-Jugoslawien-Tribunal angeklagt und verurteilt.
Und nun in Armenien schaut de Welt zu und tut nichts. Die einzigen, die uns beschützen, das ist die russische Friedensmacht, die seit dem Waffenstillstand Bergkarabach kontrolliert und bisher dafür sorgt, dass der Waffenstillstand eingehalten wird.
F: Versucht die kommunistische Volksrepublik China, die sich anschickt, die USA als Weltmacht ein- oder gar zu überholen, irgendwie in den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan einzugreifen?
A: China spielt bisher keine Rolle in unserer Region. Aber wir pflegen gute Beziehungen zu Peking.
F: Und die Noch-Weltmacht USA, was macht Washington?
A: Präsident Biden und die USA haben den Völkermord an den Armeniern 1915-1916 durch die Türken anerkannt. Wir begrüßen das. Viele Länder haben das inzwischen getan, darunter auch Deutschland.
F: Herr Botschafter, die Armenier sind überwiegend christlich, die Aserbaidschani überwiegend Muslime. Wird bei Ihnen im Kaukasus ein Religionskrieg ausgefochten?
A: Nein, dieser Konflikt hat keine religiösen Wurzeln. Es ist ein ethnischer und ein territorialer Konflikt, der Züge eines Genozids hat. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Armenien hat sehr gute Beziehungen zum Iran. Rund 200.000 Armenier leben im Iran. Der schiitisch-muslemische Iran hat im Iran die Renovierung von drei mittelalterlichen Kirchen finanziert. Das zeigt: Die Religion spielt in diesem Konflikt keine Rolle.
F: Aber es ist doch nicht zu leugnen, dass muslimische syrische Dschihad-Kämpfer von der Türkei angeheuert auf Seiten von Aserbaidschan kämpfen. Das haben Sie eben selbst gesagt.
A: Ja, dem ist so.
F: Sie und die armenische Botschaft residieren hier in Den Haag im selben Gebäude wie die Botschaft Israels und der israelische Botschafter. Wie ist das Verhältnis mit Israel?
A: Mit dem Botschafter Israels hier in Den Haag und hier in diesem Haus habe ich eine persönliche und gute Beziehung. Aber sein Land unterstützt Aserbaidschan.
F: Konnten Sie ihn noch nicht überzeugen, dass die Regierung in Israel die Seiten wechselt?
A: Über die persönlichen Gespräche mit meinem Kollegen aus Israel möchte ich keine Auskunft geben. Nur so viel: Jedes Land verfolgt seine eigenen Interessen.
F: Das sagte schon Churchill. Länder haben keine Freunde, nur Interessen.
A: Ja. So ist es.
F: Vielen Dank für das Gespräch.
Hintergrund:
Infobox: Völkermord an den Armeniern
Der Völkermord an den Armeniern war einer der ersten systematischen Genozide des 20. Jahrhunderts. Er geschah während des Ersten Weltkrieges unter Verantwortung der jungtürkischen, vom Komitee für Einheit und Fortschritt gebildeten Regierung des Osmanischen Reichs. Bei Massakern und Todesmärschen, die im Wesentlichen in den Jahren 1915 und 1916 stattfanden, kamen je nach Schätzung zwischen 300.000 und mehr als 1,5 Millionen Armenier zu Tode.
Quelle: Wikipedia.
Der Konflikt Armenien – Aserbaidschan auch Bergkarabach-Konflikt genannt:
Der BergkarabachKonflikt ist ein Konflikt der Staaten Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach im Kaukasus. Der Konflikt trat in der Moderne erstmals zur Unabhängigkeit der beiden Staaten nach 1918 auf und brach während der Endphase der Sowjetunion ab 1988 neu aus. Infolgedessen erklärte sich die Republik Arzach (bis 2017 Republik Bergkarabach) für unabhängig, wird bisher international aber von keinem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen anerkannt. Sie konnte sich in einem bis 1994 andauernden Krieg mit armenischer Unterstützung gegen Aserbaidschan behaupten und Gebiete besetzen, die ihr ursprüngliches Territorium umgeben. In einem weiteren Krieg im Jahr 2020 konnte Aserbaidschan diese Gebiete sowie Teile des armenischen Kernlandes von Bergkarabach zurückerobern.
Quelle: Wikipedia
Links:
https://en.wikipedia.org/wiki/Armenian_genocide
https://en.wikipedia.org/wiki/2020_Nagorno-Karabakh_war
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